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Angst ist etwas, das wir alle kennen. Sie begegnet uns immer wieder in ihren verschiedenen Facetten. Doch ihre unterschiedlichen Ausprägungen machen es schwer zu greifen, was Angst denn nun eigentlich ist.

Von Jacqueline Sturm

„Ganz grundsätzlich kann Angst als ein unangenehm erlebtes Gefühl von Bedrohung beschrieben werden.“

(Deister 2015: 128)

Die Angst ist ein sogenannter Affekt, eine Gefühlswallung, bei der wir die Kontrolle über unsere Gefühle vorübergehend verlieren. Die Angst sorgt dafür, dass wir blitzschnell ohne darüber nachzudenken auf eine Gefahr reagieren können und so unversehrt bleiben. Unser gesamtes Verhalten konzentriert sich nur noch auf den Selbstschutz, dies geschieht beim Menschen, bei Pferden und auch bei den meisten anderen Tieren. Die Muskeln werden dabei instinktiv angespannt und unser Körper bereitet sich auf die drei typischen evolutionsbedingten Reaktionen bei Angst vor: Flucht, Kampf oder Erstarren.[1][2] Demnach ist die Angst eigentlich etwas ziemlich Positives, da sie unserem Selbstschutz dient, auch wenn es sich manchmal oder vielleicht sogar ziemlich oft gar nicht danach anfühlt.

Doch wovor haben wir eigentlich Angst? Die Auslöser von Angst können sehr unterschiedlich sein und hängen stark von unseren frühkindlichen Erfahrungen ab. Dennoch gibt es typische Auslöser, beispielsweise das Erschrecken bei lauten Geräuschen oder wenn wir mit bestimmten Gegebenheiten in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben und nun erneut mit dieser Situation konfrontiert werden. Auch hier unterscheiden wir Menschen uns kaum von anderen Säugetieren.

Es gibt allerdings dennoch Unterschiede bei uns Menschen: Wir wissen manchmal gar nicht genau, wovor wir Angst haben. Insbesondere wenn wir Situationen als unvorhersehbar erleben und das Gefühl haben, sie nicht kontrollieren zu können, kann dies Angst auslösen.

Wir Menschen sind Meister darin, uns schlimme Dinge, die eventuell unter bestimmten Umständen vielleicht eintreten könnten, auszumalen. Das Problematische dabei ist, dass selbst die Gedanken an angstauslösende Situationen zu körperlichen Reaktionen führen kann, die Stress auslösen. Das heißt wir Erleben die Situation mit all ihren negativen Gegebenheiten, obwohl wir noch nicht einmal wissen, ob sie überhaupt eintritt. Hierzu hat Mark Twain einen schönen Satz gesagt:

Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt, aber zum Glück ist das meiste davon nie eingetroffen.

 

Vom Pferd den Umgang mit Angst lernen

Und was können wir nun vom Pferd lernen, von dem Fluchttier, das von Natur aus skeptisch, klaustrophobisch und unsicher ist?[3]

Der Unterschied zwischen Pferd und Mensch ist, dass das Pferd immer auf das reagiert, was gerade passiert. Die Instinkte des Pferdes sind geprägt von den Verhaltensweisen eines Fluchttieres. Es beobachtet seine Umgebung ganz genau und nimmt so immer das wahr, was gerade passiert.[4]Das bedeutet, dass es sich gedanklich immer in der Gegenwart befindet.

Wie wir bereits festgestellt haben, lösen bei uns Menschen häufig Gedanken an die Zukunft Ängste oder Sorgen aus oder wir denken immer wieder an vergangene angstauslösende Situationen und durchleben sie so wieder und wieder.[5]

Nicht die Dinge an sich beunruhigen den Menschen, sondern seine Sicht der Dinge.“

(Epiktet, griechischer Philosoph)

Genau das macht das Pferd nicht. Es reagiert auf das, was gerade passiert. Und genau hier können wir das Pferd als Vorbild nutzen. Haben Sie schon einmal versucht zwei Dinge gleichzeitig zu denken? In der heutigen Zeit, in der Multitasking sich immer größerer Beliebtheit erfreut, könnte man fast davon ausgehen. Es ist allerdings nicht möglich zwei Dinge gleichzeitig zu machen oder zu denken, wir machen sie nacheinander.

Das bedeutet, wenn wir uns wie ein Pferd verhalten und gedanklich in der Gegenwart bleiben, ist es uns nicht möglich an die Vergangenheit oder die Zukunft zu denken und somit können sich unsere Ängste und Sorgen verringern Das klingt jetzt eigentlich ganz einfach oder? In der Realität gelingt uns dies leider häufig nicht, da wir nicht immer auf unsere Gedanken achten und häufig wieder abdriften. Wir verfallen in automatische Gedanken. Möglichkeiten dem entgegen zu wirken gibt es einige, beispielsweise den „Gedankenstop“ aus der Verhaltenstherapie oder auch Meditation, da es hier genau darum geht, seine Gedanken zu fokussieren und so entscheiden zu können, worüber wir nachdenken.

Pferd mit Logo anKoppeln
Den Atem des Pferdes spüren.

Auch beim Erlernen dieser Methoden kann das Pferd hilfreich sein und den Einstieg erleichtern. So kann es beispielsweise dabei helfen, sich auf den eigenen Atem zu konzentrieren wenn wir eine Hand auf das Pferd legen und dabei den Atem des Pferdes spüren. Dadurch sind mehr Sinne an der Lernerfahrung beteiligt und sie wird nachhaltiger. Zudem kann das Pferd beruhigend auf uns wirken, da die Außen erlebte Ruhe zu einer inneren gedanklichen Ruhe beitragen kann.

Beispiel einer Lerneinheit zur Angst mit Pferd

Eine Klientin, hat das Ziel, einen besseren Umgang mit ihren Ängsten zu entwickeln. In der tiergestützten Einheit haben wir eine Plane, vor der der das Pferd Angst haben könnte, auf den Boden gelegt. Da niemand, auch Pferde nicht, direkt mit seinen Ängsten konfrontiert werden möchte, haben wir besprochen was dabei helfen kann sich sicherer zu fühlen. Wir konnten herausfinden, dass es mehrere Möglichkeiten gibt. Beispielsweise, dass man sich dem angstauslösendem Objekt schrittweise nähert. Wir haben es als sehr wichtig herausgearbeitet, dass man dabei selbst entschieden werden darf, wie viel Zeit man braucht. Ohne Druck und ohne Stress – im ganz eigenen Tempo. Genau das haben wir dann mit dem Pferd ausprobiert und es hat geklappt!

Eine weitere Möglichkeit wie das Pferd uns helfen kann, ist, dass wir gemeinsam mit ihm erproben können, wie Ängste überwunden werden. Das Pferd ist dazu gut geeignet, da es als Fluchttier selbst immer wieder mit seinen Ängsten konfrontiert ist. Hierzu ein Beispiel aus einer unserer tiergestützten Interventionen:

Durch die langsame Annäherung konnte das Pferd die Plane überwinden und neben diesem Erfolg konnte die Klientin den Faktor, der für sie am wichtigsten im Umgang mit ihren Ängsten ist herausfinden: eine Person an der Seite der man vertraut und bei der man sich sicher fühlt. Nach der Intervention direkt am Pferd haben wir die Erkenntnisse, die durch die Arbeit mit dem Pferd gewonnen werden konnten, auf den Alltag übertragen um so eine nachhaltige Wirkung erzielen zu können. Im Rahmen dieses Transfers konnten wir auch für die Klientin eine Person finden, der sie vertraut und die sie so bei der Überwindung ihrer Ängste unterstützen kann. Sofern sie sich eingesteht, dass sie Hilfe braucht. Das Thema für die nächste Einheit steht demnach bereits in groben Zügen fest.

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[1] Bruns, Sabine (2012): Physio Riding. Anatomisch fühlen – effektiv kommunizieren – harmonisch reiten. Stuttgart: Müller Rüschlikon Verlag: 104ff

[2] Deister, Arno (2015): Angst – und Panikstörungen. In: Möller, Hans- Jürgen/ Laux, Gerd/ Deister, Arno (Hrsg.) Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Duale Reihe. 6. Auflage Stuttgart: Thieme Verlag.: 128

[3] Wild, Jenny & Claßen, Peer (2015). Übungsbuch Natural Horsemanship. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co KG.: 6

[4] Ebd.

[5] Deister (2015): 131