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Ein Thema, welches im Rahmen unseres Kongresses „Haustiere als Kontextfaktor“ beleuchtet wurde, sind Tiere von Klient:innen in der Eingliederungshilfe. Mit diesem Thema wurde der Startschuss für die Veranstaltung des Kongresses gegeben.

von Jacqueline Sturm

 

Im Rahmen der Eingliederungshilfe geht es darum Menschen dabei zu unterstützen, dass sie ihr Leben möglichst selbstbestimmt und eigenständig gestalten können. [1][2]

Es ist Aufgabe der pädagogischen Mitarbeiter:innen die Klient:innen bei den Dingen zu unterstützen, bei welchen sie sich Unterstützung wünschen. Das bedeutet, der individuelle Wunsch der betroffenen Personen steht im Vordergrund, eben das was die Person möchte.

Voraussetzung um Leistungen der Eingliederungshilfe zu erhalten ist, dass eine Behinderung vorliegt. Hierbei ist darauf zu achten, dass Behinderung nicht als etwas gesehen wird, was in einer Person ist – es ist keine Eigenschaft einer Person. Stattdessen entsteht Behinderung durch die Wechselwirkung zwischen der Funktionseinschränkung einer Person und Barrieren im Außen. Eine Person ist demnach nicht behindert, sondern sie wird behindert. [3][4]

Es ist Aufgabe der pädagogischen Mitarbeiter:innen die Klient:innen bei den Dingen zu unterstützen, bei welchen sie sich Unterstützung wünschen. Das bedeutet, der individuelle Wunsch der betroffenen Personen steht im Vordergrund, eben das was die Person möchte. [5]

Da ich selbst eine sehr große Tieraffinität habe und seit vielen Jahren tiergestützte Pädagogik anbiete, ist mir aufgefallen, dass viele der Klient:innen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe betreut werden, Haustiere haben. Dieser Aspekt dürfte eigentlich gar nicht verwundern, da in Deutschland, in mehr als einem Drittel aller Haushalte Tiere leben. Laut dem Industrieverband für Heimtiere gab es 2021 in 47% der deutschen Haushalte mindestens ein Heimtier, vor allem Katzen, dicht gefolgt von Hunden. [6]

Dies wiederum bedeutet, dass die Mitarbeiter:innen der Eingliederungshilfe im Rahmen ihrer Tätigkeit, welche überwiegend aufsuchend stattfindet, zwangsläufig mit diesen Tieren konfrontiert werden. Doch was folgt daraus? Wie sollen die Mitarbeiter:innen mit diesen Tieren umgehen? Trotz meiner doch sehr großen eigenen Tieraffinität, habe ich hierüber nichts im Rahmen meines Studiums der Sozialen Arbeit gelernt und mir sind auch nie eine Fortbildung oder ähnliches begegnet. [7][8]

Die Soziale Arbeit hat als Menschenrechtsprofession den Anspruch, sich adäquat gegenüber der Lebenswelt von Klient:innen zu verhalten, doch was bedeutet dieses „adäquate Verhalten“ mit Blick auf die Tiere? Sollen die Mitarbeiter:innen die Klient:innen bei der Versorgung ihrer Tiere unterstützen, gibt es vielleicht sogar einen Schutzauftrag? Oder sollten die Tiere im Rahmen der pädagogischen Betreuung keine Beachtung finden? Diese Fragen können zu einer großen Unsicherheit seitens der Mitarbeiter:innen führen, insbesondere wenn eine große Tieraffinität besteht oder aber das Gegenteil der Fall ist und vielleicht sogar Ängste vor Tieren vorhanden sind. [9]

Diese zwangsläufige Konfrontation, verbunden mit den fehlenden Informationsmöglichkeiten hat für mich etwas sehr rätselhaftes und somit den Wunsch geweckt, der Sache auf den Grund zu gehen. Wodurch das Forschungsprojekt „Haustier als Kontextfaktor“ entstanden ist.

Im ersten Schritt ging es darum, erst einmal herauszufinden, wie die Mitarbeiter:innen der Eingliederungshilfe aktuell mit den Tieren der Klient:innen umgehen. Da es wenig wissenschaftliche Grundlagen zu diesem Thema gibt, wurden leitfadengestützte Experteninterviews mit Mitarbeiter:innen der Eingliederungshilfe geführt, welche Klient:innen mit Haustieren betreuen. Die Forschungsfrage lautete: „Wie wird es von pädagogischen Fachkräften erlebt, wenn Klient:innen Haustiere haben?“

Bei der Schilderung der Erfahrungen wurden von den Mitarbeiter:innen viele positive Aspekte genannt, welche für die von ihnen betreuten Klient:innen mit der Haustierhaltung einhergehen. So wurde beschrieben, dass das Haustier ein sehr wichtiger, manchmal sogar der einzige soziale Kontakt ist. Ein Klient bezeichne sein Haustier sogar als „beste Freundin“. Das Tier spende Liebe, Geborgenheit und Zuwendung, das Gefühl von Einsamkeit verringere sich. Doch das Tier sei nicht nur ein wichtiger sozialer Kontakt, sondern es fördere auch andere soziale Kontakte. Insbesondere bei den Spaziergängen mit Hunden, würden die Klient:innen mit anderen ins Gespräch kommen. Doch auch für alle anderen Tierhalter:innen, bietet das Thema „Tier“ ein unverfängliches Thema um mit anderen in Kontakt zu kommen, ohne zu viel von sich selbst preis geben zu müssen. Zudem wurde beschrieben, dass sich die eigene Versorgung durch die Anwesenheit eines Tieres verbessern würde und auch der Wohnraum sauberer gehalten werde. Ein Tier biete eine Tagesstruktur und motiviere zu Aktivität, was gerade bei depressiven Erkrankung zu einer Verbesserung des Wohlbefindens führen kann. Außerdem löse ein Tier positive Emotionen aus, es mache den Klient:innen einfach Spaß mit ihrem Tier zusammen zu sein. Während sonst ein Gefühl von Traurigkeit vorherrsche, kann die Anwesenheit des Tieres Freude bringen. Für einige Klient:innen sei das Tier der einzige Sinn zu leben, weshalb die Mitarbeiter:innen in dem Tier sogar eine mögliche suizidpräventive Wirkung sehen. Demnach kann das Tier für die Klient:innen durchaus ein Förderfaktor sein.

Doch das ist nur die eine Seite. Es wurden auch einige negative Aspekte geschildert, welche mit der Haustierhaltung einhergehen können. Insbesondere, wenn das Tier der wichtigste oder einzige soziale Kontakt sei, könne Krankheit oder sogar dessen Tod eine enorme Belastung mit sich bringen.  Hinzu kommt, dass viele der Klient:innen die von den interviewten Mitarbeiter:innen betreut werden im Leistungsbezug leben. Das bedeutet sie haben nur eingeschränkte finanzielle Mittel zur Verfügung, wodurch die Versorgung des Haustieres schwierig werden könne, insbesondere wenn neben den regulär anfallenden Kosten unvorhergesehene Dinge passieren und beispielsweise Tierarztbesuche notwendig würden. Außerdem könne ein Haustier die Freizeitgestaltung und somit die Teilhabe einschränken. Entweder weil das Tier nicht mitgenommen werden könne oder weil keine weiteren finanziellen Mittel zur Verfügung stehen würden.

Es wurde zudem immer wieder geschildert. Dass Klient:innen notwendige Krankenhausaufenthalte ablehnen weil sie nicht wissen würden, wer sich in dieser Zeit um ihr Haustier kümmern könne. All dies kann zu einer Überforderung führen. Insbesondere wenn das Tier sich dann noch nicht mal so verhalte wie gewünscht und beispielsweise Dinge kaputt mache. Insbesondere bei Hunden, welche sich nicht nur in der Wohnung, sondern auch im Sozialraum aufhalten kann dies schwierig werde, da es zu Konflikten mit anderen führen könne. Die Möglichkeit sich hier professionelle Unterstützung zu holen, ist oft nicht möglich, da auch diese mit Kosten verbunden ist. Aus all diesen Gründen kann das Tier eine Barriere darstellen.

Somit kann das Tier als Kontextfaktor betrachtet werden, denn ein Kontextfaktor bezieht sich auf den gesamten Lebenshintergrund eines Menschen. Sie können eben Förderfaktoren oder Barrieren sein. Es ist Aufgabe der Eingliederungshilfe Barrieren abzubauen und die Teilhabe zu fördern. [10] [11] Aus diesem Grund kann durchaus gesagt werden, dass die pädagogischen Fachkräfte Klient:innen bei ihren Haustieren unterstützen können und sogar sollen, sofern dies gewünscht ist. In der Interviews hat sich gezeigt, dass dies durchaus gemacht wird. So findet häufig eine Beratung in Bezug auf die Haustiere statt und es werden viele Gespräche über die Tiere geführt, da dies eine enorme Entlastung für die Klient:innen darstelle. In einigen Fällen findet auch eine Begleitung statt, beispielsweise zu Tierärzten oder beim Futterkauf, wichtig ist darauf zu achten, dass dies immer der selbstbestimmten und eigenständigen Alltagsbewältigung dient, da nur so die Voraussetzung einer qualifizierten Assistenz erfüllt ist.

Und hier sind wir auch schon bei einer Herausforderung, welche die Haustierhaltung von Klient:innen für die Mitarbeiter:innen mit sich bringt: Fehlende Unterstützungsmöglichkeiten. In vielen Fällen benötigen die Klient:innen eine Übernahme von Tätigkeiten, das Haustier betreffend oder eben eine Versorgung. Hier gibt es wenig Möglichkeiten, die nicht mit Kosten verbunden sind. Doch auch wenn es sie gibt, wie beispielsweise die Initiative Second Home for lonely Pets wissen die Mitarbeiter:innen häufig nichts von diesen Möglichkeiten, da wie eingangs erwähnt, nichts darüber gelehrt wird.

Eine weitere Herausforderung kann es sein, wenn die Klient:innen Unterstützung ablehnen, die Mitarbeiter:innen allerdings der Meinung sind, es wird Unterstützung benötigt, da wie beschrieben, nur bei den Dingen unterstützt werden sollte, bei denen sich die Klient:innen Unterstützung wünschen. Insbesondere wenn eine Tierwohlgefährdung im Raum stehen könnte, kann es eine enorme Belastung darstellen, nicht zu wissen welche Handlungsmöglichkeiten es gibt. Hinzu kommt, dass es durchaus Mitarbeiter:innen geben kann, welche unsicher in Bezug auf Tiere sind oder sogar Angst vor ihnen haben, da Tieraffinität keine Voraussetzung für die aufsuchende Arbeit darstellt, Hier sind die Leistungserbringer gefordert, gute Umgangsmöglichkeiten für ihre Mitarbeiter:innen zu schaffen.

In der Interviews wurden allerdings auch Chancen berichtet, welche die Mitarbeiter:innen für sich und die Betreuung durch die Anwesenheit der Haustiere erkennen. So biete das Tier auch im Rahmen der Betreuung ein Gesprächsthema, durch welches eine Beziehung aufgebaut werden kann. Zudem führt das fehlende Wissen dazu, dass die Mitarbeiter:innen die Klient:innen fragen, wie sie mit den Tieren umgehen sollen, was diese wiederum in ihrer Expertenrolle stärkt. Außerdem erleben auch die Mitarbeiter:innen die positiven Emotionen, welche durch ein Tier ausgelöst werden können, wodurch die Arbeitsatmosphäre angenehmer wird.

Alles in allem kann demnach gesagt werden, dass es durchaus Aufgabe der Eingliederungshilfe sein kann, Klient:innen bei ihren Haustieren zu unterstützen, da das Haustier ein Kontextfaktor ist. Wichtig wäre hierbei insbesondere den Mitarbeiter:innen mehr Wissen zu vermitteln, damit sie bestmöglich unterstützen können.

 

Endnoten

[1] Vgl. LWV o.J: Informationsschreiben: Bundesteilhabegesetz. Trennung von existenzsichernden Leistungen und Fachleistungsstunden (Eingliederungshilfe) sowie Einführung des Nettoprinzips. Online im Internet unter: https://www.lwv-hessen.de/leben-wohnen/wieunterstuetzt-der-lwv/umsetzung-des-bundesteilhabegesetzes/schnelleinstiege/ziele-desbthg/ziele-des-bthg-inhalt/ (Stand:31.05.2022)

[2] Rosemann, Matthias/ Konrad, Michael (2020b): Die UN-BRK, das BTHG und die Herausforderungen für die Unterstützung zu einem selbstbestimmten Wohnen. In: Ders. (Hrsg.): Selbstbestimmtes Wohnen kompakt. 1. Auflage Köln: Psychiatrie Verlag.14-39: 16ff

[3] Vgl. §2 Abs.1 S. 1 SGB IX

[4] Vgl. §99 Abs.1 SGB IX

[5] Konrad, Michael (2019): Die Assistenzleistung. Anforderungen an die Eingliederungshilfe durch das BTHG. Köln: Psychiatrie Verlag: 30

[6] Naumann, Sophie A./ Burkhard, Fuhs (2012): Dog Handling als kindliches Bildungsprojekt? Pädagogische Skizze zu einem unterschätzten Bereich des informellen Lernen. In: Jutta Buchner-Fuhs/Lotte Rose (Hrsg): Tierische Sozialarbeit. Ein Lesebuch für die Profession zum Leben und Arbeiten mit Tieren. Wiesbaden Springer VS, 71-81: 82f

[7] Wesenberg, Sandra (2020): Tiere in der sozialen Arbeit. Mensch- Tier Beziehungen und tiergestützte Interventionen. Stuttgart: W. Kohlhammer: 15

[8] Jutta Buchner-Fuhs/Lotte Rose (Hrsg) (2012): Tierische Sozialarbeit. Ein Lesebuch für die Profession zum Leben und Arbeiten mit Tieren. Wiesbaden Springer VS: 16ff

[9] Wesenberg: 13f

[10] Dimdi: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI WHO – Kooperationszentrum für das System Internationaler Klassifikationen (2005): ICF. Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Stand Oktober 2005. World health Organisation: 16

[11] Gerlach, Tanja u.a (2015): ICF- basierte Förder- und Teilhabeplanung für psychisch kranke Menschen. Bern: Verlag Hans Huber: 36