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Künstler:innen und Psyche: Wie viel vom Künstler steckt in der Kunst?

Künstler:innen beantworten Fragen zu ihrer Motivation Kunst zu schaffen und der Verbindung zwischen Kunst und Psyche.

Von Alena Fleischmann

Kunst wird oft öffentlich zur Schau gestellt – ob nun in Galerien, auf der Bühne oder auf Instagram – und trotzdem scheint Kunst oft unglaublich privat, nah, manchmal wie ein Blick durch ein Schlüsselloch.

Während einer Trennung wird dann der:die Lieblingssänger:in zur:m besten Freund:in, die eine:n mit ihren Liedern tröstet, ein Bild berührt einen so sehr, dass Tränen fließen oder man möchte aufspringen und eine:n Schauspieler:in trösten, der/die auf der Bühne unbändiges Leid herausschreit vor Trauer. Kunst berührt uns oft sehr nah und wir haben teilweise sogar das Gefühl die Künstler:innen aufgrund von ihrer Kunst zu kennen. Aber wie viel von den Künstler:innen steckt wirklich in der Kunst?

Diese Frage und die Frage, warum ein Individuum Kunst macht ist pauschal wohl nicht zu beantworten. Natürlich fließt von jedem:r Künstler:in etwas in seine:ihre Kunst mit ein, ob nun indirekt durch Einfluss der Weltanschauung, Wahrnehmung und Lebensrealität oder direkt durch die Verarbeitung des eigenen Lebens. Aber wie stark und auf welche Weise Kunst durch das Leben von Künstler:innen geprägt ist, ist je nach Künstler:in und wohl auch Kunstform unterschiedlich. Wir haben daher einige Künstler:innen gefragt warum sie Kunst machen, wie viel sie von sich selbst dort einfließen lassen und wie sie die Verbindung zwischen Kunst und Psyche sehen.

Ihre Antworten und die Künstler:innen selbst möchten wir Ihnen gerne hier vorstellen.

Hannah Maria Krämer

Malerin und Schauspielerin

Bild junge Frau bei Malen

Welche Art von Kunst schaffen bzw. machen Sie?

Ich lebe meine Kreativität vornehmlich auf zahlreichen Leinwänden mit unglaublich viel Farbe oder auf einer lichtgetränkten Bühne aus. Schauspiel und Malerei sind für mich pure Emotion und Leidenschaft. Beides sind zweifelsohne beliebte und bekannte Formen künstlerischen Ausdrucks, aber die Einschätzung, ob das „Endprodukt“ meines Tuns nun als „Kunst“ zu betiteln ist oder nicht, überlasse ich lieber den Betrachter:innen.

Warum haben Sie mit der Schaffung von Kunst angefangen?

Ich weiß zumindest, dass ich nicht damit begann, um mit etwas zu beginnen. Ich liebte meine Stifte schon, als ich sie noch nicht „richtig“ halten konnte und sah in einem Blatt Papier seit jeher eine Ebene zur Selbstoffenbarung und Erweckung wunderbarer sowie dunkler und absurder Fantasien. Das sah ich schon, bevor ich darüber nachdachte und auch lange bevor ich diese Worte buchstabieren hätte können. Die Neugier und Faszination meines kindlichen Herzens ist die eigentliche „Künstlerin“. Sie war es die zuerst nach den Stiften Griff und sie ist es, die auch heute noch nach Pinseln und Farben greift. Auch Bühnen zogen mich immer an. Als Zuschauerin blickte ich stets mit Bewunderung auf die Gestalten und Illusionen im Licht. Dort offenbarten sich mir Möglichkeiten und zwar nicht nur jene, gesehen zu werden, sondern zu erleben, zu erkennen, zu fühlen und in meiner Rolle mehr ich zu sein, denn in der Rolle, die ich bisher im Leben spielte und auch heute noch spiele. Die Bühne schenkt mir Selbstvertrauen und immer wieder neue Begegnungen mit mir selbst. Außerdem sind Empathie und Sensibilität hier plötzlich eine Superkraft und die dunklen Kapitel meines Lebens lassen mich auf der Bühne nicht dunkel und gerissen sein sondern vielseitig und facettenreich scheinen. Das Malen und das Schauspiel sind für mich ein Stück weit eine Realitätsflucht, oder vielmehr eine Auszeit von dem, was andere als Realität beschreiben würden, und zeitgleich sind es die echtesten und unverfälschtesten Erlebnisse überhaupt.

Was wollen Sie mit ihrer Kunst erreichen?

Das Gefühl etwas Lebendiges zu schaffen ist eines der schönsten Gefühle, die es für mich gibt – ob beim Schauspiel oder in der Malerei. Es ist ein Baden in Licht, Dunkel, Farbe und Emotion – ein Hochgenuss so viel empfinden zu können. Das Ziel? Ich möchte fühlen, sehen, erfahren, erkennen und auch selbst erkannt werden und das in möglichst großem Rahmen. Das Wunderbare daran ist aber, dass wenn wir von Kunst sprechen, auf beiden Seiten Emotion eine große Rolle spielt. Betrachter:innen sehen und fühlen und dabei sehen und fühlen sie eben sicherlich auch einen Teil dessen, was ich selbst fühle während des Malens oder einer Performance. Ich wiederum spüre sie mit ihren Emotionen. Das ist großartig, wenn dieser Funke überspringt. Das ist Magie, nur in echt. Es ist eine Form gelungener Selbstoffenbarung – auf beiden Seiten.

Wie viel von ihren eigenen Erfahrungen und Emotionen fließt in ihre Kunst ein?

Ich würde so weit gehen und behaupten, dass mein ganzheitliches Ich sich zumindest zu Bruchstücken in jeder Performance und auch auf jeder Leinwand abbildet. Ich bin einer dieser sogenannten „offenen Menschen“, die auch über schlimmste Dinge sprechen können. Doch während ich bspw. anderen Menschen in einem Satz erzählen würde, wie finster, kalt und unheimlich die Nacht war, würde ich sie in einem Bild deutlich umfang- und detailreicher darstellen, weil ich noch einmal in eben diese Nacht mit all den sinnlichen und emotionalen Erfahrungen eintauchen würde. Es gäbe verschiedene Lichteinfälle, Farbnuancen, Schatten, plastische Linien, die für den Betrachter spürbar und greifbar sind etc., sodass meine Bilder letztendlich wesentlich mehr erzählen, als ich es mit Worten jemals würde. Ähnlich ist es bei einer schauspielerischen Performance. Ich kann auf einer Bühne erzählen, wie ich mich fürchte, aber das an sich ist kein Schauspiel. Es wäre auch kein Schauspiel, wenn ich dazu einfach eine erschrockene Miene aufsetzen würde. Sobald ich aber das, was ich erzähle mit meinen Erfahrungen und Gefühlen verknüpfe und dann eben auch spüre, beginnt mein Körper zu reagieren. Dann fühle ich, weine ich, schreie ich, zittere ich, zeige Emotion und diese sieht, spürt und ersehnt sich auch das Publikum.

Nutzten Sie Kunst als Werkzeug um mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen?

Vor einigen Jahren habe ich einmal ein Gedicht zum Tabu-Thema Vergewaltigung und Abtreibung verfasst, das meiner eigenen Erfahrung und Emotion entsprach. Dieses für mich hochemotionale Gedicht, brachte ich auch selbst in einer dramatischen Inszenierung auf die Bühne. Es war beinahe eine Qual, die ich mir aber selbst auferlegte, um wie ein Phönix aus der Asche aufzusteigen. Ich wollte der ganzen Welt selbst meine Geschichte und die so vieler Frauen zu zeigen. Die Zuschauer sollten Schauer, Ekel, Schock, Trauer, Identifikation, Mitleid und Bewunderung für die Stärke, die ich nun habe empfinden. Insofern: Ja, es half mir, die dunkelsten Momente meines Lebens zu verarbeiten bzw. das Gefühl zu haben, verstanden zu werden – zumindest von den Zuschauern. Was danach kam, war aber noch viel größer und überwältigender: Eine Vielzahl an Menschen in meinem Alter umarmte mich, äußerte Rührung, teilte ähnliche Geschichten und sogar ein junger Mann, der in seiner Jugend vergewaltigt wurde, hatte danach noch lange einen sehr emotionalen Austausch mit mir. Da war kein Schweigen mehr im Raum. Plötzlich wurde gesprochen und meine Scham wich dem Stolzgefühl.

Welche Eigenschaften braucht für sie ein:e Künstler:in?

Empathie; Leidenschaft; Experimentierfreude; Abenteuerlust; Risikofreude; einen Hang zu Extremen und zur Dramatik; den Blick für das Fantastische; die Gabe, Wunder im Alltäglichen zu sehen; Genuss und Hingabe; Mut und Verletzlichkeit; Spannungen in sich, zwischen Menschen und in seinen/ihren Gedanken.

Wie sehr glauben Sie hängt Kunst mit unserer Psyche zusammen?

Kunst verrät uns mehr über Psyche, als Worte. In all den netten Worten, die ich hier schreibe, schlägt sich nur ein Bruchteil meiner Psyche nieder. Wenn ich mich hingegen künstlerisch auslebe, entfaltet sich ein viel größerer Teil der Psyche frei und ungezwungen. Das gilt übrigens nicht nur für den kreativen Prozess, sondern auch in der Rolle als Betrachter:in. Kunst wirkt tief in uns und bildet Anlass zu fühlen, zu reflektieren und zu verarbeiten. So regt sich selbst dann etwas in mir, wenn ich nur stumm durch eine Kunsthalle gehe und mir die Werke ansehe. Wir können nun ewig darüber nachdenken, philosophieren und schreiben, aber das Gefühl etwas zu kreieren und die besondere Wahrnehmungsebene Kunst sind etwas, das man erleben und fühlen muss, um es zu verstehen und auch nur ansatzweise zu ergründen.

Mara Tonija

Schauspielerin

Bild junge Frau

Welche Art von Kunst schaffen bzw. machen Sie?

Ich arbeite als Schauspielerin, zusätzlich arbeite ich im Kommunikationsbereich und befasse mich viel mit dem Schreiben von Texten. Als Hobby beschäftige ich mich zudem gerne mit Malen / Zeichnen / Basteln.

Warum haben Sie mit der Schaffung von Kunst angefangen?

Einen genauen Anfang gab es nicht, es war einfach schon von Kindsbeinen an ein Teil meines Alltags. Gewisse Bereiche, wie zum Beispiel das kreative Schreiben, wurde auch gezielt von meiner Familie gefördert. Die Entscheidung mich auch professionell mit dem Schauspiel zu beschäftigen, kam mit Anfang 20, als ich eine kleine „Quarter Life Crisis“ hatte. Man weiß nicht was noch kommt (oder ob…), deswegen sollte man sich den Dingen, die einem am Herzen liegen, mutig jetzt widmen.

Was wollen Sie mit ihrer Kunst erreichen?

Kunst hat das spannende Potential gesellschaftliche Themen anzusprechen, zu kritisieren und zu spiegeln aber auch zu verarbeiten und zu verändern und ich bin gerne mittendrin anstatt nur dabei.

Wie viel von ihren eigenen Erfahrungen und Emotionen fließt in ihre Kunst ein?

Ich denke im Schauspiel ist es problematisch eigene, noch nicht verarbeitete Gefühle und Erfahrungen als „Quelle“ zu verwenden, insbesondere wenn keine psychologische Beratung am Projekt beteiligt ist. Auch gewisse Traumata (wenn auch als verarbeitet empfunden) sollten nur mit einem gut durchdachten Konzept und Support-System hochgeholt werden. Erfahrungen und Emotionen, die ich verarbeitet habe, und von denen ich weiß, dass ich sie wie eine Box aus dem Keller sicher hochholen und auch wieder wegpacken kann, nutze ich sehr gerne und oft als Einfluss. Oft ist dies auch eine gute und spannende Erfahrung, da die Geschehenshintergründe der Rolle nie zu 100% deckungsgleich mit den eigenen sind, kann man eine andere Perspektive auf die Gefühle und Geschehnisse gewinnen. Es hilft auch immens die Realität und Menschlichkeit eines geschriebenen, und somit zweidimensionalen Charakters, zu finden und sie zum Leben zu erwecken.

Bei anderen Kunstformen, wie dem Malen oder Schreiben, fließen sehr viele meiner eigenen Emotionen ein – auch noch Unverarbeitete.

Nutzten Sie Kunst als Werkzeug um mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen?

Im Schauspiel nicht, nur bereits verarbeitete Gefühle, um eventuell weitere Perspektiven zu gewinnen, falls es eine Sache war, die mich lange beschäftigt hat. Es steht aber immer die zu spielende Rolle im Fokus – welche meiner Erfahrungen/bekannter Emotionen passt zu dem, was meine Rolle durchmacht? Es geht also nicht darum mit Schauspiel eigene Gefühle zu verarbeiten, sondern von der Rolle aus Emotionen und Erfahrung aus dem eigenen Erfahrungsschatz zu finden, um sie zum Leben zu erwecken. Dass man dabei auch noch über die eigenen Erfahrungen neue Erkenntnisse gewinnen kann, ist ein möglicher, aber nicht immer gegebener, Bonus.

Das Schreiben und Malen nutze ich jedoch sehr gerne, um mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Es hilft mir die Gefühle von innen nach außen zu bringen und auszudrücken. Allein diese Externalisierung ist schon ein hilfreicher Schritt für mich beim Umgang mit den respektiven Gefühlen.

Welche Eigenschaften braucht für sie ein:e Künstler:in?

Offenheit, Mut, viel Ausdauer und die Fähigkeit, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Offenheit für die Bedürfnisse der Rolle (im Schauspiel) sowie neue Ideen, Weltansichten, Erfahrungen (Kunst allgemein). Mut, um offen zu sein, Grenzen zu ziehen und vor allem, um konstruktiv und realistisch mit sich selbst umzugehen. Ausdauer, weil das Leben als Künstler:in nicht einfach ist. Die Fähigkeit sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, denn es geht nicht um die Künstlerschaffenden, es geht um die Kunst die Erfahrung des Publikums. Und sich nicht selbst allzu ernst zu nehmen, hilft mit den anderen drei Eigenschaften. 🙂

Wie sehr glauben Sie hängt Kunst mit unserer Psyche zusammen?

Meiner Meinung nach sehr stark, wobei ich aber kein Fan der gesellschaftlichen Trope und Assoziation von (psychischen) Schmerz und Kunst bin. Dies fördert eine meiner Meinung nach falsche Darstellung der Beziehung von Kunst und Psyche. Die Konzepte „tortured artist“ und „sad boy/girl/person aestehtic“ sollten, wie der Name sagt, wenn nur als Ästhetik, nicht als Lifestyle gefeiert werden. Zum einen erweckt es den Eindruck, dass Kunst Schmerz verursacht (und auch sollte, wenn man ein:e „echte:r“ Künstler:in sein will), zum anderen glorifiziert es die Nicht-Verarbeitung von Emotionen und Erfahrungen, anstatt das Thema Mental Health und den Umgang zu normalisieren und zu fördern.

Genau hierbei hat Kunst meiner Meinung nach aber viel zu bieten und hängt stark mit der Psyche zusammen. Kunst kann uns helfen mit den eigenen Emotionen und Erfahrungen umzugehen, sie ausdrücken, visualisieren, festzuhalten. Wir können die Emotionen und Erfahrungen anderer durch deren Kunst nachvollziehen und ein besseres Verständnis für unsere Umgebung gewinnen. Und wir können uns einfach der Kunst widmen, sie genießen und für einen Moment abschalten. Kunst hilft uns, meiner Meinung nach, dabei, unsere Psyche auszudrücken, sie zu unterstützen und auf- und auszubauen.

Mark Wiesmann

Regisseur und Schauspieler

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Welche Art von Kunst schaffen bzw. machen Sie?

Theater und Film.

Warum haben Sie mit der Schaffung von Kunst angefangen?

Anfangs habe ich damit angefangen, weil es mir Spaß machte: Ich hatte das Glück, in meiner Schule eine Theaterpädagogin zu haben, die kein Problem damit hatte, dass ich für den Theaterunterricht ein eigenes Stück schreibe. Für den Film hatte ich ein besonderes Interesse, das sich von meiner Kindheit bis zum Erwachsenenalter nicht verändert hatte. Mir hatte es irgendwann nicht gereicht, Filme und Theaterstücke nur anzusehen, ich wollte selbst etwas zu diesem Universum beitragen.

Was wollen Sie mit ihrer Kunst erreichen?

Ich denke nicht, dass Kunst die Welt rettet. Schon gar nicht meine Kunst. Man sollte sich als Künstler:in nicht zu wichtig nehmen, am Ende verändert sich mit der Schaffung nichts, außerhalb deines Umfeldes. Aber das reicht für mich. Wenn ich es vollbringe, dass ich, meine Mitwirkenden und vielleicht auch die Zuschauenden ein klein wenig reflektierter nach Hause gehen, dann bin ich zufrieden. Bertolt Brecht sagte einst, dass er zufrieden sei, wenn die Leute von seinen Stücken unterhalten worden sind – wenn es sie zum Nachdenken angeregt hat, umso besser. Diesem Ziel will ich mich auch annähern.

Wie viel von ihren eigenen Erfahrungen und Emotionen fließt in ihre Kunst ein?

Ich versuche weitestgehend meine eigenen Erfahrungen und Emotionen aus meiner Kunst rauszuhalten. Nicht, um mich selbst zu schützen oder meine Vergangenheit zu verbergen, sondern weil ich finde, dass sie langweilig sind. Ich finde es viel spannender, neue Gedanken und Geschichten zu erzählen, die wenig bis gar nichts mit meinem Leben zu tun haben. Mich damit neu zu reflektieren und damit über die Welt stückweit anders nachzudenken. Komplett ausschalten kann man sie aber nicht. Wenn ich ein Drehbuch oder ein Theaterstück schreibe, entstehen oft die Gedanken, wie ich mich in der jeweiligen Situation fühlen würde oder was ich sagen würde. Diese Gedanken versuche ich zu kanalisieren und sie in das Werk einzubringen, ohne, dass ich dabei autobiografisch werde und über mein eigenes Leben berichte. Wenn ich als Regisseur meiner Schauspieler*in erkläre, was in der jeweiligen Szene mit ihrer Figur passiert, dann erzähle ich oft von meinen eigenen Gefühlen und Erfahrungen, die zur Figur in diesem Moment passen, um die Schauspieler*innen besser auf die Rolle vorzubereiten und ihnen zu erklären, wie sie denkt und sich fühlt. Es ist eine Hilfestellung für die Schauspielenden, eine Figur besser darzustellen, es ist aber nicht der Weg, mich selbst in der Figur zu verwirklichen.

Nutzten Sie Kunst als Werkzeug um mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen?

Früher tat ich dies. Nach einem gebrochenen Herzen habe ich gerne angefangen, Kurzgeschichten zu schreiben, heute kann und will ich das nicht mehr. Es macht die Geschichten auch nicht besser. Es gibt jedoch Ausnahmen: Mit meinem Theaterstück „Die Maßnahme“, frei nach Brechts gleichnamigem Stück, habe ich versucht, Verschwörungsgläubige während der Pandemie zu durchleuchten und zu verstehen. Diesen Gedanken dazu hatte ich, als ich bemerkt habe, wie sehr auch meine Familienangehörigen in den Strudel von Verschwörungen gefallen sind und wie wütend und hilflos es mich gemacht hat. Diese Gefühle landeten auch in das Stück, ohne dabei reale Personen aus meinem Leben darzustellen. Ich sah, dass es ein wichtiger Teil im Leben vieler Menschen geworden ist und man das große Ganze betrachten muss. Man sollte nicht versuchen, sich mit seiner Kunst zu „therapieren“, Kunst ist nicht dazu, seine eigenen Traumata zu verarbeiten, das kann ganz schnell sehr ungemütlich werden, sowohl für sich als auch für die Mitwirkenden. Zudem verliert man sich dadurch in seiner Kunst und kann nicht mehr unterscheiden, ob das, was man tut, gut ist oder schlecht. Geschweige denn Kritik zu erhalten und damit umzugehen. Für die unverarbeiteten Traumata sollte man stets zur Therapie gehen und sie erst in Kunst verwandeln, wenn man sie verarbeitet hat und genügend Zeit und Abstand herrscht, um darüber zu reden.

Welche Eigenschaften braucht für sie ein:e Künstler:in?

Die Fähigkeit, sich zu reflektieren, eingestehen, wenn man Fehler gemacht hat. Sich nicht zu ernst nehmen, aber stets zu wissen, was man tut. Vielleicht das Talent zu haben, seine eigene Vision für andere sichtbar zu machen.

Wie sehr glauben Sie hängt Kunst mit unserer Psyche zusammen?

Es gibt die Trope des „leidenden Künstlers“. Der eine schlimme Kindheit/Leben hat, psychisch instabil ist und dadurch die Möglichkeit hat, wundervolle Kunst zu erschaffen. Viele Filme, die von Künstler*innen handeln, bedienen dieses Klischee. Ich halte nicht viel davon, man kann kreativ sein und Kunst erschaffen, ohne eine psychische Erkrankung zu haben. Auch kann man über psychische Erkrankung oder generell über Traumata Kunst erschaffen, ohne selbst davon betroffen zu sein. Ich habe einen Kurzfilm gedreht, über eine junge Frau, die nach dem Tod ihrer besten Freundin in Trauer versinkt. Mit diesem Thema habe ich keine persönlichen Erfahrungen gemacht, ich habe mich damit beschäftigt, recherchiert und mich mit der Materie auseinandergesetzt. Ich vermute nicht, dass der Film besser wäre, hätte ich diese Erfahrungen gemacht, er wäre womöglich nur anders. Ich halte es auch für gefährlich, an dieser Trope festzuhalten, weil es psychische Erkrankungen verharmlost und ihnen eine bedeutende Rolle im Schaffen einer Künstler*innen verschafft, die es so nicht haben sollte. Der Künstler*in wird damit suggeriert, dass sie nicht mehr ihre Werke erschaffen kann, wenn sie sich behandeln lässt. Ich meine aber, dass auch ohne die Psyche der Künstler*in in den Vordergrund zu stellen, man ganz wunderbare Kunst erschaffen kann.

 

Gian Luca von Raesfeld

Gitarrist und Sänger der Frankfurter Foam-Rock Band Spiderwebs & Foam

Bild junger Mann

Welche Art von Kunst schaffen bzw. machen Sie?

Ich bin Gitarrist und Sänger der Frankfurter Foam-Rock Band Spiderwebs & Foam. Gemeinsam mit meinen drei Bandkollegen schreiben wir seit 2017 eigene Musik und haben mit der Zeit unseren eigenen Sound und unsere eigene Art des Songwritings entwickelt. Unsere Songs haben wir auf bisher zwei Studioalben festgehalten und spielen sie regelmäßig live auf den Bühnen der Rhein-Main Region.

Warum haben Sie mit der Schaffung von Kunst angefangen?

Lange bevor ich meine erste Gitarre bekam, war ich fasziniert von Menschen, die auf der Bühne standen, ihre Lieder spielten und damit ein Publikum zum Zuhören bewegen konnten. Die Anziehungskraft war für mich in der Musik schon immer größer als in jeder anderen Kunstform. Damals wollte ich einfach genau das gleiche erleben, wie die Künstler*innen, die ich damals bewundert habe. Die ersten 3-4 Jahre habe ich dann damit verbracht, die Songs meiner Idole zu lernen. Irgendwann kam jedoch der Punkt, ab dem mir etwas fehlte und es nicht mehr ausreichte, ausschließlich Musik aus der Feder anderer Künstler*innen zu spielen. Als wir uns als Band zusammenfanden, merkten wir nach wenigen Proben, dass es deutlich mehr Spaß macht, eigene Stücke zu kreieren und eigene Ideen zu verfolgen. Für mich war das ein Augenöffner. Um dem Weg meiner früheren Vorbilder folgen zu können, musste ich mich erstmal von ihnen lösen und meinen Eigenen suchen.

Was wollen Sie mit ihrer Kunst erreichen?

Oberstes Ziel ist für mich, dass mir die Musik weiterhin Spaß macht und ich durch sie immer wieder Chancen bekomme, großartige Momente zu erleben. Das können Konzerte, Aufnahmesessions oder einfach eine gute Zeit im Proberaum sein. Mir ist es aber ebenfalls wichtig, dass wenn ich bzw. wir als Band mit unserer Kunst an ein Publikum herantreten, wir die Menschen emotional ansprechen und auch tatsächlich abholen können. Mir persönlich hat Musik in vielen schwierigen Momenten Halt gegeben und mich in vielen schönen Situationen begleitet. Wenn ich dieses Gefühl anderen Menschen geben kann und sie aus unserer Musik Kraft ziehen können, wäre für mich ein Kreis geschlossen und ich hätte das erreicht, wovon ich früher immer so fasziniert war.

Wie viel von ihren eigenen Erfahrungen und Emotionen fließt in ihre Kunst ein?

Es werden auf der Welt so viele Geschichten erzählt und Bücher geschrieben – die einzige Geschichte, die aber wirklich ausschließlich ich und niemand sonst erzählen kann, ist meine Eigene. Deswegen bin ich sehr daran interessiert, zu verstehen, wie ich mich fühle und welche meiner Erfahrungen dafür verantwortlich sein könnte. In die Musik fließt das auf verschiedenste Weise ein. Oft ist es nur eine Akkordfolge oder eine einzelne Textzeile, die aus der konkreten Emotion oder Erfahrung herauskommt. Der Rest wird drumherum gebaut, ohne selbst mit dieser Emotion verbunden sein zu müssen. Für mich sind eigene Erfahrungen und Emotionen die besten Inspirationsquellen und damit unverzichtbar für den Schreibprozess.

Nutzen Sie Kunst als Werkzeug, um mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen?

Wenn mein Leben in der Vergangenheit kompliziert wurde, folgte daraus eigentlich immer, dass ich mehr Musik machte als üblich. Ob ich damit etwas Konkretes verarbeiten wollte, weiß ich nicht einmal genau. Es ist für mich mittlerweile eine natürliche Reaktion geworden, mit der ich mich auf positive Weise von negativen Gefühlen lösen kann. Manchen Menschen hilft es, mit anderen über schlechte Dinge zu sprechen. Ich habe den Eindruck, dass es mir oft ausreicht, wenn ich sie in einer Melodie oder einem Text verpacke.

Welche Eigenschaften braucht für sie ein:e Künstler:in?

Man braucht den Mut, sich verletzlich zu zeigen. Viele Melodien und Texte sprechen aus der eigenen Vergangenheit. Dabei sind nicht immer nur die besten Momente dargestellt, häufig ist das Negative ein stärkerer Antrieb der Kreativität als das Positive. Jedoch macht genau das die Kunst in meinen Augen authentisch. Während Social Media oft nur die Sonnenseite des Lebens zeigt, bietet die Kunst auch dem Schatten eine Bühne. Authentizität und Mut sind für mich daher die Eigenschaften, die mich bei anderen Künstler*innen am meisten beeindrucken.

Wie sehr glauben Sie hängt Kunst mit unserer Psyche zusammen?

Der Einfluss der Psyche auf die Kunst ist das, was sie überhaupt erst individuell werden lässt und sie (zumindest bis jetzt noch) von z.B. Malerei und Komposition durch künstliche Intelligenz unterscheidet. Wie ein einzelner Mensch die Welt wahrnimmt, ist unergründlich. Er/Sie kann sein Bestes tun, um zu erklären, wie diese Wahrnehmung aussieht oder sich anfühlt. Am Ende wird es aber nie möglich sein, den eigenen Betrachterstandpunkt zu wechseln. Kunst ist für mich ein Versuch zu erklären, wie der/die Künstler*in Dinge wahrnimmt, was er/sie darüber denkt und welche Schlüsse er/sie daraus zieht. Ich bin mir sicher, dass echte Kunst und von der Psyche nicht zu trennen ist.

Elisabeth Treptow

Schauspielerin, Songwriterin, Fotografin und Regisseurin

Bild junge Frau

Welche Art von Kunst schaffen bzw. machen Sie?

Ich bin zum größten Teil in den darstellenden Künsten tätig. Ich arbeite als Schauspielerin, habe viele Jahre Tanztraining und schreibe Lieder. Besonders die Verbindung dieser Bereiche interessiert mich, weswegen ich gerne in die Theaterregie gehen möchte. Zusätzlich beschäftige ich mich viel mit analoger Fotografie.

Warum haben Sie mit der Schaffung von Kunst angefangen?

Ich kann gar keinen genauen Moment oder Grund nennen, warum ich mit der künstlerischen Arbeit angefangen habe. Schon als Kind konnte ich nicht genug kriegen von jeder Form der darstellenden und visuellen Kunst. Als ich älter wurde, wusste ich einfach nur, dass ich gar nicht anders kann, als das zu meinem Beruf zu machen.

Was wollen Sie mit ihrer Kunst erreichen?

Kunst ist für mich eine Form der Selbstverwirklichung. Es geht mir darum eine Form für meine inneren Prozesse und Emotionen zu finden und diese nach außen zu tragen. Und es ist immer ein tolles Gefühl, wenn Zuschauende sich mit dem Gesehenen identifizieren können und ein Gefühl von Verbundenheit und Verstanden Sein von beiden Seiten aufkommt.

Wie viel von ihren eigenen Erfahrungen und Emotionen fließt in ihre Kunst ein?

Ich denke man kann den künstlerischen Prozess nie vom Künstler trennen und dementsprechend fließen alle Erfahrungen die ich mache und Emotionen, die ich fühle direkt in meine Kunst mit ein. Meistens sind sie sogar die Inspirationsquelle für neue Projekte wie zum Beispiel beim Lieder schreiben. Auch beim Schauspiel bedient man sich oft eigener Erfahrungen um eine Rolle besser greifen zu können. Aber natürlich ist Kunst im seltensten Fall eine 1:1 Übersetzung des Erlebten, aber inspiriert ist es immer davon. Aber die eigenen Erfahrungen haben auch seine Grenzen und deswegen verwende ich sehr viel meiner Emotionen für meine Kunst, aber nicht alles was ich auf einer Bühne präsentiere, habe ich auch wirklich erlebt.

Nutzten Sie Kunst als Werkzeug um mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen?

Definitiv tue ich das. Kunst hilft mir, abstrakte Gefühle zu erklären und auszudrücken. Besonders hilft mir Tanz, wenn ich gewisse Sachen mal nicht in Worte fassen kann.

Welche Eigenschaften braucht für sie ein:e Künstler:in?

Diese Frage finde ich sehr schwer zu beantworten. Jeder ist in seinem Sein und Schaffen zu individuell um genaue Kriterien festlegen zu können. Ich finde jede Person, die irgendwelche Themen oder Emotionen aus einem inneren Antrieb heraus in eine andere Form bringt, macht eine Form von Kunst. Dabei ist irrelevant, ob man damit seinen Lebensunterhalt verdient oder nicht. Daher bevorzuge ich den Begriff von ‘Kunstschaffende’.

Wie sehr glauben Sie hängt Kunst mit unserer Psyche zusammen?

Ich glaube, da gibt es einen großen Zusammenhang – nicht nur im Schaffen, sondern besonders auch im Konsum. Man ist viel empfindlicher bei emotionalen Filmen und Performances, wenn es einem nicht gut geht oder man hört sich schöne Lieder an, damit es einem besser geht. Kunst ist etwas Emotionales und damit hat es auch eine direkte Verbindung zu unserer Psyche, egal ob als Schaffender oder Konsument.

Wie man durch all diese Interviews sieht sind die Meinungen zu Kunstschaffung und wie viel von einem selbst in Kunst fließt sehr unterschiedlich, auf eine Sache scheinen sich jedoch alle einigen zu können: Kunst und Psyche sind untrennbar verwoben und haben auf verschiedenste Weisen Einfluss aufeinander.